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True Story Award 2024

Wie man eine Insel kauft

«Private property, you have to leave!» Etwas ruppig, der Willkommensgruss im Paradies.

Der Strand ist so weiss, dass er blendet. Weiss wie Schnee, leicht wie Puderzucker, nur heiss unter den Füssen, so dass wir schnell zurück ins Meer rennen. Es ist türkisblau, klar, und ab und zu reckt eine Schildkröte ihren Kopf aus dem Wasser. Vom Deck unseres Segelbootes «Mabul» können wir die fünf Meter bis auf den Grund zum Anker sehen. Der hat sich gut eingegraben vor dem Princess Diana Beach am Coco Point, der südlichen Spitze der Insel Barbuda. Segeln bedeutet ein Leben in grosser Freiheit, und immer ist es auch ein wenig die Suche nach dem Paradies, dem unentdeckten Paradies. Deshalb sind wir im Februar 2023 von Antigua nach Barbuda gesegelt, denn hier sei er zu finden, der letzte wahre Garten Eden der Karibik, das hatten wir immer wieder von anderen Seglern gehört.
Die kleine Insel sehen wir erst kurz vor Ankunft. Barbuda ist 161 Quadratkilometer gross und flach wie ein Pfannkuchen. Eine kleine Revoluzzerinsel, die dem Klimawandel trotzt, denken wir. Das gefällt uns auf Anhieb, genauso wie der menschenleere Princess Diana Beach. Prinzessin Diana soll hier Ferien verbracht haben, um den Paparazzi zu entfliehen. Ohne Zweifel ist Barbuda eine Insel für Prinzessinnen, ummantelt von weissen und raren pinkfarbenen Sandstränden, mit Korallen, unter denen sich Langusten verstecken, von denen einige in der einzigen Strandbar am Princess Diana Beach mit Butter und Limone serviert werden. Barbuda ist die kleine Schwesterinsel von Antigua und liegt nur 33 Seemeilen nördlich von ihr. Barbuda und Antigua bilden zusammen ein Land, seit die Engländer sie 1981 in die Unabhängigkeit entlassen haben. Dass dies ein Problem ist, werden wir noch merken. Wir werden die Insel eine Woche später nicht erholt und beglückt verlassen, sondern schockiert, wütend und aufgebracht ob all dem, was wir gesehen und erlebt haben in diesem vermeintlichen Paradies.
Was ist ein Paradies? Fragt man Karibikbewohner, antwortet so mancher: ein kalter Ort mit Bergen, wo es keine Hurrikane gibt. Fragt man Westler aus der kalten Hemisphäre, sagen viele: eine einsame Karibikinsel, auf der es nie oder selten regnet und wo man stundenlang im wannenwarmen Wasser liegen kann. Ein Paradies ist, was wir nicht haben, wo wir nicht leben, eine Wunschvorstellung, die man vielleicht einige Tage im Jahr zur Realität machen kann, aber nicht länger, denn dann beginnt man, die Schlangen im Paradies zu entdecken. Das Paradies ist für viele ein Ort, den man kaum erreicht, und wenn, dann nur per Langstreckenflug. Nach Barbuda kann man nicht fliegen, weil der Flughafen noch nicht fertig ist. Nach Barbuda kommt man mit dem Schiff oder dem Helikopter. Deshalb blieb dieses Paradies bisher von den meisten unentdeckt – so dachten wir zumindest.

Dass etwas nicht stimmt, merken wir am zweiten Tag. Wir fahren mit unserem Dingi, dem kleinen Beiboot, an den Princess Diana Beach, um unsere Drohne fliegen zu lassen und ein paar Luftaufnahmen zu machen. Am Strand stehen Villen, die so neu sind, dass die Möbel darin noch mit Plastikfolien überzogen sind. Neben den Villen gibt es ein grosses Clubhaus mit einem Pool, einem Restaurant, Liegen mit Sonnenschirmen und allerlei «Wasserspielzeug» davor, Jetski, Aqua-Bikes, Stand-up-Paddle-Boards. Gäste sehen wir keine, nur Angestellte.
Wir gehen ein paar Schritte den Strand hinauf, lassen die Drohne steigen, doch kaum ist sie in der Luft, kommt einer vom Clubhaus herüber. «This is private property, you have to leave!» Etwas ruppig, der Willkommensgruss im Paradies. Private property? Wessen? «Das ist der Barbuda Ocean Club, er und all das gehört der Firma Peace Love & Happiness», jetzt zeigt der Mann auf den langen, menschenleeren Strand «all das gehört uns». – «Können wir vielleicht ein Bier an der Bar kaufen?» – «Nein, da haben nur unsere Gäste Zutritt.»
Doch so schnell wird er uns nicht los. Wie in den meisten Karibikstaaten ist auch in Antigua und Barbuda der Strand bis zur Hochwasserlinie nicht Privatbesitz, sondern öffentliches Gut. Die Hochwasserlinie ist dabei keine klar gezogene Linie, es handelt sich vielmehr um einen zwei bis drei Meter breiten Streifen ab der Stelle, wo das Wasser den Strand berührt. Dieser Streifen gehört allen und muss allen zugänglich sein. Dahin ziehen wir uns nun zurück.
Wer ist diese Firma, die Friede, Liebe und Glück verspricht und dabei den schönsten Strand der Insel einzig für sich und die eigene Klientel beansprucht und alle anderen aussperrt? Auf der Website des Barbuda Ocean Club heisst es: «Escape to a private paradise in the Eastern Caribbean». Private Residenzen, gebaut von der Mutterfirma Peace Love & Happiness, kurz PLH, verteilt über 360 Hektaren und 13 Kilometer Strand auf dem Coco Point und der angrenzenden Halbinsel Palmetto Point. PLH gehört John Paul DeJoria, einem amerikanischen Unternehmer, der mit dem Verkauf von Haarpflegeprodukten und Tequila zum Milliardär wurde. Er ist der grösste Investor auf der Insel, doch nicht der einzige. Auch Filmstar Robert De Niro und sein Geschäftspartner haben über 150 Hektaren Land am Princess Diana Beach gepachtet, damit sie darauf das Hotel «Paradiese Found» inklusive Spa, vier Restaurants und einer Marina für Superjachten bauen können. Von De Niros Luxusanlage sieht man noch nicht viel, DeJorias Tourismusprojekt «Barbuda Ocean Club» jedoch ist schon weit fortgeschritten. DeJoria stellt sich im Internet als Wohltäter dar. So soll er 2008 Nelson Mandela geholfen haben, 17 000 Waisenkinder zu ernähren, und zum Dank für seine finanzielle Unterstützung benannte die Meeresschutzorganisation Sea Shepherd eines ihrer Schiffe nach ihm. Mit der gleichnamigen PLH-Stiftung engagiert sich die Familie DeJoria für einen nachhaltigen Planeten. «Der Welt etwas zurückzugeben, ist eine Freude», wird DeJoria als Mitunterzeichner der philantrophischen Kampagne «The Giving Pledge» zitiert.
«Milliardäre bulldozen Barbuda», heisst es wiederum auf der Website savebarbuda.org, die von Barbudanern geführt wird, welche um das kulturelle Erbe und ihre Insel bangen. Barbuda wurde also entdeckt, und das scheint wenig Gutes für die Inselbevölkerung zu bedeuten.
«Die Insel ist Teil von mir, und ich bin Teil von ihr, deshalb erhalten und nähren wir uns gegenseitig.» Das sagt Gulliver Johnson, 50 Jahre alt, kahlrasierter Kopf, graumeliertes Ziegenbärtchen, eine Hautfarbe, die nicht ganz schwarz, aber auch nicht weiss ist. Sie erzählt von seinen afrikanischen Vorfahren, die ab dem 17. Jahrhundert als Sklaven von den ehemaligen britischen Kolonialherren auf die Insel verschleppt wurden, und den Schotten und Briten, die sich in seine Ahnenlinie einreihten. Gulliver trägt ein T-Shirt mit einem regenbogenfarbenen Hanfblatt. Sein Lachen ist laut und ansteckend, und nicht zu überhören ist Gullivers Londoner Akzent. Wie viele Barbudaner hat er die Insel früh verlassen, um in England zur Schule zu gehen und in London zu studieren, Recht und Philosophie. Wer eine höhere Schuldbildung will, wer Geld und materiellen Erfolg anstrebt, der bleibt nicht auf Barbuda.
Das Paradies liegt da, wo man selbst nicht ist, deshalb leben zwar heute noch ungefähr 1500 Barbudaner auf der Insel, viele sind jedoch im Ausland. Gulliver kam vor zwanzig Jahren zurück. Zuerst zog er nach Antigua, wo er einen kleinen Verlag gründete und ein Schnellboot kaufte, mit dem er Tagestouren anbot. Jahrelang pendelte er zwischen Antigua und Barbuda hin und her, bis er sich 2017, nachdem Hurrikan «Irma» in Barbuda gewütet hatte, ganz hier niederliess: «Ich hatte genug von Antigua, wo man auf uns herabschaut und wo wir Barbudaner vom Premierminister als entwurzelte Dummköpfe beschimpft werden. Zuallererst bin ich Barbudaner. Meine Mutter, meine Gross- und Urgrosseltern kommen von hier, der schönsten Insel der ganzen Karibik.» Kein anderer Ort der Welt biete mehr Freiheiten, mehr Zeit zum Spielen als Barbuda. Erst später, als er in der sogenannten zivilisierten Welt, wo man Geld verdiene und von der Arbeit verschluckt werde, angekommen sei, habe er gemerkt, welches Privileg es war, auf Barbuda geboren worden zu sein. Viele Barbudaner hätten zwar kaum Geld, aber: «Niemand geht hier hungrig zu Bett. Das Meer, das Land, sie geben uns, was wir brauchen, und wir nehmen einzig, was wir brauchen.»
Es ist diese Harmonie, die die Insel und ihre Bewohner unterscheidet von anderen Karibischen Inseln, das Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur, das auf der grossen Schwesterinsel Antigua mit ihren verbauten Küsten längst nicht mehr existiert. Antigua stinkt nach Geld. Wir ankerten dort gleich neben Superjachten mit ihren Helikopterlandeplätzen und Jacuzzis. Unser Segelboot sah aus wie deren kleines Beiboot. In Barbuda dreht sich viel um das Wohl der Gemeinschaft und der Insel, zumindest seit die ehemaligen afrikanischen Sklaven seit der Abschaffung der Sklaverei 1834 selbst über ihre Insel und ihr Land entscheiden können. Das Land auf Barbuda gehört seit fast 200 Jahren allen Inselbewohnern. 1979 wird der Inselrat gegründet, der von den Barbudanern gewählt wird und über alle Belange der Insel entscheidet. Er verwaltet von nun an im Namen der Inselbewohner das Land. Als Grossbritannien Antigua und Barbuda 1981 in die Unabhängigkeit entlässt, verschmilzt die müde gewordene Kolonialmacht die beiden Inseln zu einem Staat, obwohl sich die Barbudaner dagegen wehren. Diese ahnen bereits, dass es Zoff bedeutet, wenn zwei so ungleiche Geschwister, die in einem so ungleichen Kräfteverhältnis stehen, für immer verbunden werden. Mit wenigen eigenen Ressourcen ist Barbuda jedoch finanziell von Antigua abhängig, und da die Einwohnerzahl deutlich geringer ist, können die Barbudaner nur einen der 17 vom Volk gewählten Parlamentsabgeordneten stellen – und haben entsprechend kaum Mitspracherecht bei politischen Entscheidungen. Es kommt, wie es kommen muss: Nachdem die Regierung von Antigua den Grund und Boden ihrer eigenen Insel zu Geld gemacht hat, wendet sie sich ihrer kleinen Schwesterinsel zu. Der Streit um Land und Landrechte ist von jeher das alles bestimmende Thema in der Beziehung der beiden Inseln. «Dein Vater wurde wieder verhaftet» – an solche Anrufe habe sie sich als kleines Mädchen gewöhnen müssen, sagt Jackie Frank. Sie hat ihre Dreadlocks zu einer aufwendigen Frisur hochgesteckt und spricht mit dem klaren britischen Akzent einer Frau, die ein Leben lang englische Teenager unterrichtet hat. Auch die 61-jährige Jackie kommt aus Barbuda und hat den grössten Teil ihrer Kindheit und ihres Erwachsenenlebens in England verbracht, während ihr Vater auf der anderen Seite des Atlantiks dafür kämpfte, dass das gemeinsame Landrecht für Barbuda in der Verfassung verankert wird. «Meist blieb mein Vater nicht lange hinter Gittern, sie wollten ihn einschüchtern, wollten, dass er aufhört zu kämpfen.» Doch ihr Vater und auch Gullivers Grossvater hörten nicht auf, und ihr Kampf zahlte sich aus.
2007 wird der Barbuda Land Act vom Parlament von Antigua und Barbuda verabschiedet. In diesem Gesetz wird festgehalten, dass das Land auf Barbuda nicht in Privatbesitz gehen kann, sondern allen Barbudanern gemeinsam gehört. Wer also auf einem Stück Land ein Haus bauen möchte, der trägt sein Anliegen der Gemeinschaft vor, und diese entscheidet. Das gilt auch für ausländische Investoren.
Doch es braucht nur zehn Jahre und einen Hurrikan, um das Gesetz zu entkräften und Grossinvestoren wie PLH die Tür zu öffnen. 2016 verändert die Regierung das Landgesetz. Von nun an kann die Regierung in Antigua Projekte auch ohne die Einwilligung aller Barbudaner durchwinken. Im Februar 2017 schliesst Premierminister Gaston Browne mit PLH einen ersten Pachtvertrag. 170 Hektaren Land auf dem Palmetto Point für eine Jahresmiete von 150 000 Dollar gehen für 99 Jahre an PLH. Fünf Millionen Dollar, also die Miete der ersten 33 Jahren, werden gleich zu Beginn bezahlt und fliessen in den Bau eines Flughafens, so dass die superreiche Klientel in Zukunft mit ihren Privatjets anreisen kann. Doch was sind schon fünf Millionen Dollar, wenn eine einzige Villa mehrere Millionen kostet? Im Februar 2022 publiziert eine Gruppe von Sonderberichterstattern der Uno ein öffentliches Statement, in dem sie das Tourismusprojekt von PLH auf Barbuda kritisiert. Barbudas fragiles Ökosystem sei durch das Megaprojekt gefährdet, es bestünden Zweifel daran, ob die Bevölkerung von Barbuda umfassend über das Projekt informiert worden sei, um ihre Einwilligung geben zu können.
Hinters Licht geführt worden seien sie, sagt Jackie Frank. Ihnen seien Arbeitsplätze, Gesundheitsversorgung, Bildungseinrichtungen versprochen worden und dass keine Gefahr für die Umwelt bestehe. Jackie kehrte vor sechs Jahren zu ihren Wurzeln zurück und war einige Jahre Teil des Inselrates von Barbuda, um den Kampf, den ihr Vater begonnen hatte, fortzuführen.
Jeder, der in Barbuda investiert, kennt die Geschichte des gemeinsamen Landrechts. Und doch investieren sie. Warum? Um diese Frage zu klären, fahre ich an einem Nachmittag wieder an den Princess Diana Beach zum Barbuda Ocean Club. Ich ziehe das Dingi, unser kleines Beiboot, die wenigen Meter den Strand herauf bis zum ersten Schild: «Private Property – Please, no public access beyond this point. Thank you». An jenem Haus, wo die «Wasserspielzeuge» ausgegeben werden, frage ich nach dem Manager. Dieser eilt wenige Minuten später federnden Schrittes vom Restaurant herbei: «Hi, I’m Michael, how can I help?» Michael Chandler spricht ein breites amerikanisches Englisch. In den sozialen Medien präsentiert er sich gern mit seinem Baby, seiner Frau oder seinem Golden Retriever auf einer Liege des Barbuda Ocean Club. Zuerst bewegt sich unser Gespräch auf neutralem Grund, wir
sprechen über Fakten und Zahlen, Chandler gibt sich jovial. 90 private Residenzen am Coco Point, 450 auf der angrenzenden Halbinsel Palmetto Point sind in Planung. Kostenpunkt: ab 2,5 Millionen Dollar pro Villa, Obergrenze offen. Verkauft sind noch nicht alle, die Käufer kommen von überall: Vereinigtes Königreich, Deutschland, USA. Der Golfplatz auf Palmetto Point, der angrenzenden Halbinsel, ist schon so gut wie fertig. Dazu seien die Sanddünen am Strand, die von den Inselbewohnern abgetragen wurden, wieder aufgeschüttet worden. «Sandabbau und -verkauf war ein lukratives Geschäft hier in den vergangenen Jahrzehnten», sagt Chandler. Stimmt. Jahrzehntelang wurde Sand trotz anhaltender Warnungen von Umweltaktivisten auf Barbuda im industriellen Stil abgebaut und verkauft. Einige Entscheidungsträger auf Barbuda verdienten am Geschäft mit dem Sand, die Grossverdiener jedoch
sassen in Antigua. Jetzt seien sie ja hier, um das fehlende Geschäft wettzumachen, sagt Chandler «Wir haben bereits 100 Millionen Dollar in die Insel investiert.» Natürlich sei das keine Spende, aber man tue viel für die Inselbewohner. Was zum Beispiel? Dafür müsse ich mit der verantwortlichen
Nachhaltigkeitsmanagerin sprechen. Ich wage einen langsamen Vorstoss. «Es gab viele Kontroversen um euer Bauprojekt … » – «Wirklich?» – «Ja, zum Beispiel die Bedenken der Inselbewohner. Die sagen,
ihr stehlt ihr Land.» – «Wie sollen wir ihr Land stehlen? Wir haben ein Abkommen mit der Regierung in Antigua, einen offiziellen Pachtvertrag.» – «Tatsache ist, dass kein Barbudaner mehr Zutritt hat zu diesem schönsten Strand seiner Insel, weil sich kein Barbudaner eine Villa für 2,5 Millionen Dollar leisten kann.» – «So ist das überall in der Karibik. Privatbesitz ist Privatbesitz. Wenn ich als Barbudaner ein Haus baue, will ich ja auch nicht, dass andere durch meinen Garten und mein Haus
marschieren, oder?» – Vielleicht doch, vielleicht wollen die Barbudaner genau das, dass alle in ihren Gärten vorbeischauen, denke ich. «Hier am Strand gab’s früher keine Häuser, die Inselbewohner kamen zum Picknicken, der Strand gehörte allen. Jetzt gehört er denen, die ihn sich leisten können.» – «Ihr Journalisten seht alles immer schwarz-weiss: Reiche gegen arme Inselbewohner. Seht ihr nicht, dass wir es sind, die hier das Geld auf die Insel bringen und Hunderten von Inselbewohnern Arbeit geben?» – «Und was ist mit der Kritik der Uno?» – «Die haben sie zurückgezogen.» «Haben sie nicht.» – «Doch.» – «Nein.»
Im Speziellen kritisiert die Uno die Entwicklungen auf dem Palmetto Point, der Halbinsel, die an die grosse Codrington-Lagune und den Princess Diana Beach angrenzt. Dort hat PLH bereits den Golfplatz gebaut und ist nun dabei, den Barbuda Ocean Club und seine Villen auszubauen – auf geschütztem Sumpfland. Mangroven, die die Insel vor Stürmen und Naturkatastrophen schützen, seien entfernt worden, heisst es im Bericht. «Schwachsinn!», sagt Manager Chandler. «Können Sie mich hinbringen? Ich würde das gerne selbst sehen.» «Nein», sagt Chandler, «private property.»
Am nächsten Tag fahren wir mit Gulliver zum Palmetto Point, aber wir kommen nicht weit. Der Strand ist zwar öffentliches Gut, aber da das Land vor dem Strand, das heisst die ganze Halbinsel, von der Regierung in Antigua an PLH verpachtet wurde, kommt man nur noch vom Meer an den Strand oder indem man an kilometerlangen Zäunen entlanggeht, mit denen PLH die Halbinsel abgesperrt hat. Auf der einzigen Strasse zur Halbinsel steht ein Wachhaus. «Kein Durchgang, Privatbesitz», sagt die Wachfrau. Wir fahren auf eine Nebenstrasse und lassen unsere Drohne steigen. Aus der Luft sehen wir die gigantische Bauanlage. An der vordersten Spitze ist der Golfplatz mit seinen Rasenflächen und künstlichen Teichen bereits fertig. Im Zentrum der Halbinsel steht eine grosse Baracken-Siedlung, überall fahren Lastwagen herum, und Bagger reissen Mangroven aus. Dann bricht die Funkverbindung zur Drohne kurz ab, wird wieder hergestellt und verschwindet schliesslich ganz. PLH könnte einen Störsender eingesetzt haben, um Aufnahmen wie unsere zu verhindern. Die Drohne macht eine Notlandung direkt auf dem Gelände. Was nun? Auf dem offiziellen Weg kommen wir nicht aufs Gelände, die Drohne aufgeben wollen wir jedoch auch nicht. Es bleibt nur ein Weg: unter dem Zaun hindurch und dem letzten GPS-Signal der Drohne folgen. Ich bleibe am Auto und halte die Stellung. Nach einer Stunde kehren Gulliver und Alex zurück, ein breites Grinsen im Gesicht, die Drohne in der Hand. Sie berichten: Das GPS-Signal hatte sie zwischen Büschen hindurchgeführt, bis sie schliesslich vor einem grossen Sandhaufen standen, hinter dem die Arbeitersiedlung liegt. Über den Sandhaufen hinweg sahen sie, wie eine Frau die Drohne aufhob und sich eine Menschentraube bildete. Bald würden die Arbeiter die Drohne wegtragen, wahrscheinlich zu ihrem Chef, der sie vielleicht beschlagnahmen würde. Die beiden überlegten, was sie tun sollten. Sich zu erkennen geben mit dem Risiko, verhaftet zu werden wegen unerlaubten Eindringens auf ein Privatgrundstück? Da kam Gulliver die Erinnerung, sie war tief verankert und von Generation zu Generation weitergereicht worden: Die Überlegenheit des weissen Mannes, die Angst, die noch heute bei jeder Interaktion mit ihm mitschwingt. Das würde er sich zunutze machen, auch wenn er sich ein bisschen dafür schämte. Erhobenen Hauptes und bestimmten Schrittes stiegen sie über den Sandhaufen, steuerten direkt auf die kleine Gruppe von Arbeitern zu. Gulliver ist zwar nicht weiss, aber er spricht die Sprache des weissen Mannes, trägt den britischen Akzent vor sich her wie ein Schwert, und neben ihm geht Alex, ein Weisser. «Good job, well done!», sagte Gulliver und nickte einem Baggerfahrer zu, der eben Mangroven ausgrub. Er wies ihn an, den Bagger etwas zu drehen, so dass das Licht ein gutes Foto ermöglichte, dann wandte er sich an die Arbeitergruppe. «Hey, ihr, was habt ihr da? Das ist unsere Drohne, gebt sie mal her.» Es war keine Frage, es war ein Befehl, und die Arbeiter, von denen die meisten nicht aus Barbuda kamen, sondern von Karibikinseln, auf denen es noch weniger Arbeit und viel Hoffnungslosigkeit gibt, reichten Gulliver die Drohne, hoben die Hand zum Gruss und machten sich wieder an die Arbeit. Alex und Gulliver drehten sich um und gingen, als sie hinter dem Sandhaufen waren, begannen sie zu rennen, bis sie den Zaun erreicht hatten.
Warum ist es so schlimm, dass sich heute auf dem Palmetto Point anstelle der Mangroven ein Golfplatz breitmacht und bald Hunderte von Luxusvillen stehen werden? Weil das dieser letzte Tropfen sein könnte, der das Meer über die Insel schwappen lässt. Zumindest die Uno fürchtet das, wie auch John Mussington, ein 62-jähriger Meeresbiologe, der früher in Antigua und Barbuda für die Regierung und private Firmen Umweltanalysen erstellt hat. Dann wurde er Schuldirektor auf Barbuda, jetzt ist er pensioniert, wurde aber unlängst in den Inselrat von Barbuda gewählt und ist einer der schärfsten Kritiker der touristischen Grossprojekte. Wir treffen ihn zusammen mit Jackie, Gulliver und dem 70-jährigen Fischer George im Hafen von Codrington am Ostende der Lagune. Codrington ist die einzige grosse Siedlung der Insel, wirkt jedoch wie ein Ort aus einem alten Westernfilm: eine Ansammlung von einstöckigen Häusern und Hütten, davor picken Hühner scheinbar unsichtbare Körner vom Boden, und ein paar Jugendliche lungern herum. Die Strasse eine Staubpiste. Kein Ort, der zum Verweilen einlädt, und gut kann man sich vorstellen, dass so mancher von einem anderen Paradies, einem mit Starbucks-Cafés und Bürogebäuden, träumt. George führt uns mit seinem Boot aus dem Hafen und tuckert langsam durch die Lagune. Hier ist das Wasser nur zwei bis fünf Meter tief, so dass man überall auf den Grund sehen kann. Die Lagune ist eine der grössten in der Karibik, über drei Kilometer breit und zwölf Kilometer lang. Sie ist so wichtig, dass die sogenannte Ramsar-Konvention, einer der ältesten internationalen Verträge zum Naturschutz, der sich speziell mit dem Schutz von Feuchtgebieten befasst, sie zu einem Sumpfgebiet von globaler Bedeutung ernannt hat. «Für die Fische, Langusten und Vögel ist die Lagune eine Art Spielplatz, Kindergarten und Grundschule», sagt George. Im seichten, gut geschützten Wasser können die Meeresbewohner ungestört heranwachsen, bevor sie ins Meer und zu anderen Inseln ausschwärmen. Der beissende Gestank von Vogelkot, das aufgeregte Gepiepse von Jungvögeln kündet zudem weitere Lagunenbewohner an, lange bevor wir sie sehen: die Fregattvögel. Eine ganze Kolonie der schwarzen Vögel, von denen die Männchen knallrote Kehlsäcke wie Luftballons vor sich hertragen, sitzt auf den Mangroven. Es müssen Tausende sein, zwischen den Eltern recken die Jungvögel ihre weissen, flaumigen Köpfe in die Höhe. Es dauert vier bis fünf Monate, bis die Jungvögel fliegen können. Mit einer Flügelspannweite von bis zu zwei Metern und winzigen Füsschen fällt ihnen das Abheben jedoch nicht leicht, und so haben sie sich diesen Ort ausgesucht, einen natürlichen Windkanal, in dem sie bloss die Flügel ausbreiten müssen, um weggetragen zu werden. Die Fregattvögel-Kolonie der Codrington-Lagune ist eine der grössten der Welt, und das Gebiet wurde deshalb zum Schutzreservat ernannt. Da der angrenzende Palmetto Point ein integraler Teil dieses sensiblen Ökosystems ist, wurde auch die Halbinsel laut dem Sustainable Island Resource Management Zoning Plan von 2012, einem offiziellen Regierungsdokument von Antigua und Barbuda, zum geschützten Gebiet erklärt. Doch just hier werden bald ausländische Millionäre Golf spielen und in ihren Pools baden. Für Barbuda sei das eine Katastrophe, sagt Mussington: «Der Palmetto Point ist eine grosse Filteranlage: Wenn es regnet, fliesst das Wasser durch die Mangroven in die Lagune und versorgt sie mit Frischwasser. Das Projekt von PLH vergiftet unsere Lagune, die Meereslebewesen darin, unsere Lebensgrundlage.» Doch das sei nicht alles. «Wenn ein tropischer Sturm oder Hurrikan vom Atlantik kommt, ist die Insel durch die Riffe, Mangroven und Sanddünen geschützt. Jetzt verschieben sie den Sand, hacken die Mangroven weg.» Und dann ist da
noch der Klimawandel. Barbudas höchster Punkt ist nur 40 Meter über dem Meeresspiegel. «Gierige Idioten mit einem dämlichen Businessplan», nennt Mussington deshalb die Investoren von PLH. «Sie wollenschnell ihre teuren Villen verkaufen und dann abhauen. Was uns bleiben wird, ist Zerstörung.»

Hurrikan «Irma» fegt am 6. September 2017 mit fast 300 km/h über die Insel. Premierminister Gaston Browne begutachtet die Spuren der Hurrikan-Zerstörung aus einem Helikopter. «Irma» habe über 90 Prozent der Infrastruktur auf Barbuda zerstört, sagt er danach. Antigua kommt glimpflich davon. Ungefähr 220 Millionen Dollar seien nötig, um Barbuda wieder aufzubauen, Geld, das Barbuda nicht hat. «Nicht der Hurrikan hat uns traumatisiert, sondern wie die Regierung danach mit uns Inselbewohnern umgegangen ist», sagt Jackie. Unter Androhung von Gewalt sei die Bevölkerung gezwungen worden, ihre Insel und ihr Zuhause zu verlassen. Wochenlang hätten sie nicht zurückkehren können. Für Premierminister Gaston Browne ist der Hurrikan die Chance, ein neues Herrschaftssystem auf Barbuda einzuführen. Der Ex-Banker erklärt ein paar Wochen nach dem Hurrikan bei einem Treffen mit der Diaspora von Antigua und Barbuda in New York: «Gemeinschaftliches Land ist ein Mythos, ihr besetzt das Land.» Der Inselrat auf Barbuda habe Entwicklung und Wachstum verhindert, die Inselbevölkerung müsse endlich etwas zum Staatshaushalt beitragen, so wird er immer wieder in den Medien zitiert. Nettobilanz, Einnahmen, Profit, das ist die Sprache von Antigua. Viele auf Barbuda wollen diese Sprache bis heute nicht sprechen. Der New York Times sagt Premierminister Browne in einem Interview: «Wir werden Barbuda als grüne Insel vermarkten. Barbuda braucht Kreuzfahrtschiffe, und das Land muss käuflich sein. Meine Regierung wird das ermöglichen.» Und so geschieht es. Während die ausländischen Investoren kurz nach dem Hurrikan mit Baggern aufgefahren seien, habe die Regierung in Antigua die Einwohner von Barbuda an der Rückkehr gehindert, erzählen Jackie und John. Sie beide wurden wie alle anderen Inselbewohner nach dem Hurrikan von Barbuda nach Antigua geschafft und können vorerst nicht zurückkehren. Erst nach einem Monat, als die Notstandsgesetze nicht mehr gelten, dürfen die Menschen wieder nach Barbuda. Nicht Häuser, Schulen und Gesundheitszentren seien als Erstes gebaut worden, sondern die Landebahn für Privatjets, sagt Jackie. Doch sie entsteht, ohne dass die Lokalbevölkerung konsultiert wird, auf Land, das unterhöhlt ist. Kaum gebaut, sackt die Landebahn an mehreren Stellen ab und muss verschoben werden. Bis heute sind Flughafen und Landebahn nicht fertig, und bis heute kämpfen die Barbudaner vor Gericht gegen den Flughafen und das Land, das Antigua dafür genommen hat. Das Geld, das ausländische Regierungen, NGO und private Firmen spenden, um Barbuda wieder aufzubauen, kommt nur schleppend an. Drei Monate nach dem Hurrikan sind Strom- und Wasserleitungen noch nicht wieder instandgesetzt, und die Rückkehrer sind angewiesen auf Generatoren und entsalztes Wasser, das sie von Hilfsorganisationen bekommen.
Trevor Walker, der Parlamentsabgeordnete von Barbuda, schreibt mir später über Whatsapp, dass er den Premierminister immer wieder gefragt habe, wie viel Geld die Regierung für den Wiederaufbau
von Barbuda bekommen und ausgegeben habe. Bis heute warte er auf eine Antwort. Die Regierung in Antigua habe dem Inselrat von Barbuda das Haushaltsbudget, also das Geld, mit dem Lehrer, Ärzte und andere Dienstleistungen bezahlt werden, nach dem Hurrikan um die Hälfte gestrichen.
Noch immer sind viele Häuser vom Hurrikan gezeichnet, ohne Dach, ohne Fenster. In der Nacht herrscht Dunkelheit, weil die Strassenbeleuchtung nicht funktioniert. Am Strand hingegen werden sogar die leeren Villen des Barbuda Ocean Club taghell beleuchtet. «Ich bin gegen das Projekt, weil die Barbudaner nicht davon profitieren werden», sagt der Parlamentsabgeordnete. 2020 blockierte er mit anderen Barbudanern den Zutritt zu Palmetto Point. Der Premierminister drohte, Walker verhaften zu lassen, wenn er sich weiterhin öffentlich gegen PLH stelle.
John und Gulliver nennen die Entwicklungen auf ihrer Insel «neuen Kolonialismus», ermöglicht und gefördert von der eigenen Regierung, den eigenen Leuten, die doch auch die Nachkommen einstiger Sklaven sind. Auch Gulliver hat im Hurrikan viel verloren: sein Boot, sein Haus, sein Einkommen. Ein Jahr lang habe er in einer Hängematte gelebt, während er anderen Rückkehrern half, ihre Häuser und ihr Leben wieder aufzubauen. Dann schaffte er einen Schiffscontainer aus Antigua herbei. Er beantragte beim Inselrat ein Stück Land, um seinen Container daraufstellen zu können, und erhielt es. Jetzt steht sein neues Zuhause, auf einer Anhöhe mit Blick über die wilde Atlantikküste, an der die grossen Wellen die Braunalge Sargassum und manchmal auch die Ladung eines über Bord gegangenen Containers anschwemmen. Kein Investor hat Interesse an dieser rauen Küste. Gulliver aber fühlt sich wohl in diesem kargen, unbewohnten Teil der Insel. Der Hurrikan habe ihn zur Rückbesinnung auf die alten Werte gebracht. «Vor dem Hurrikan war ich relativ reich, dachte daran, mich bald pensionieren zu lassen. Dann kam der Hurrikan und nahm mir alles weg.» Ein Jahr lang anderen zu helfen, sei wie ein Erweckungserlebnis gewesen. Gemeinschaft und Familie seien wieder ins Zentrum seines Lebens gerückt, das Streben nach Geld habe seinen Reiz verloren. «Auf Barbuda kannst du mit ganz wenig Geld leben, und eigentlich wussten wir auf dieser Insel schon immer, dass Besitz und Geld nie wirklich ein Lebensziel sein können, in Harmonie mit den anderen und der Umwelt zu leben, jedoch schon.»
Ich kann nachvollziehen, was er sagt. Auf ein Segelboot zu ziehen, ist ja genau das: Abkehr von einem Leben, in dem die Regale im Supermarkt zwanzig verschiedene Joghurtsorten zu bieten haben. Ein
Leben auf engem Raum, aber in stetiger Verbindung zur Natur. Bloss: Geboren und aufgewachsen in der Schweiz, kann ich jederzeit in ein Flugzeug steigen und zurückkehren zu den übervollen Regalen, wenn ich das simple Leben satthabe. Die meisten auf Barbuda haben diese Möglichkeit nicht. Sie lieben zwar ihre Insel, aber so manch einer träumt wohl auch vom Auto, der Klimaanlage, dem, was wir Fortschritt nennen.
Das Versprechen auf Geld und Wohlstand spaltet auf Barbuda die Familien, keine Familie symbolisiert das besser als die der Mussingtons: Vater John kämpft gegen PLH, sein 27-jähriger Sohn arbeitet für PLH im Landschaftsbau. Sprechen sie noch miteinander? Ja, sagt John und gibt mir die Telefonnummer seines Sohnes, der mir ein Telefoninterview verspricht. Doch am nächsten Tag antwortet er nicht mehr auf meinen Anruf, auch am übernächsten Tag und an allen folgenden Tagen nicht mehr. Ich frage mich, wovor oder vor wem er sich fürchtet. Es vergehen Wochen, bis ich Tsekani am Telefon habe, weil ich von einer unterdrückten Nummer aus anrufe. Er sagt: «Peace Love & Happiness bedeutet für
mich die Chance, etwas aus meinem Leben zu machen, etwas zu lernen und Geld zu verdienen, denn am Ende geht es doch immer ums Geld, auch auf Barbuda. PLH zahlt mir 20 Dollar pro Stunde, doppelt so viel wie der Mindestlohn, und vor allem kommt das Geld wirklich, nicht wie bei unserem Inselrat, der seit Monaten keine Löhne mehr zahlen kann. Wenn ich genügend Geld verdient habe, werde ich mein eigenes Geschäft gründen und dann andere Inselbewohner anstellen, vielleicht in die Landwirtschaft investieren. Wir alle wählen unterschiedliche Wege, um unserer Gemeinschaft zu helfen.»
Premierminister Gaston Browne spricht von 600 Arbeitsplätzen, die PLH seit Projektbeginn auf Barbuda geschaffen habe, John Mussington bezweifelt, dass es so viele sind, und PLH will keine Auskunft geben. Wahrscheinlich arbeite fast von jeder Familie auf der Insel jemand bei PLH, sagt Jackie. Sie sagt es ohne Bitterkeit, sie versteht es sogar. Als ehemaliges Mitglied des Inselrates weiss sie, wie schlecht es um die Finanzen der Insel steht, seit die Regierung in Antigua dem Inselrat von Barbuda das Budget halbiert hat. Auch so kann man Menschen gefügig machen, Gemeinschaften entzweien. Gulliver berichtet, einer seiner Cousins habe Land an PLH abgetreten und dafür einige Zehntausend Dollar bekommen. Er habe das Geld genommen und sei in die USA gegangen.
Nicht alle wollen im Paradies leben, wenn jener Teil des Paradieses, den sie noch bewohnen dürfen, ausserhalb der eingezäunten und säuberlich hergerichteten Luxusgebiete liegt und ein staubtrockener Sandhaufen ist, auf dem jeder Wassertropfen so wertvoll ist wie Gold.
Die Uno hat ihre Kritik, die sie im Februar 2022 an PLH geäussert hat, übrigens nicht zurückgezogen, wie das Michael Chandler in unserem Gespräch am Princess Diana Beach behauptet hat. «Wir halten an unseren Einschätzungen fest», erklärt mir die Uno auf meine Nachfrage hin. «Das Projekt von PLH wird fortgeführt und hat gravierende Auswirkungen auf die Umwelt und die Menschenrechte der Lokalbevölkerung von Barbuda. Wir haben uns deshalb auch an die Regierung von Antigua und Barbuda gewandt, haben aber leider nie eine Antwort auf unsere Fragen bekommen.»
Ganz ignorieren konnte PLH die Kritik der Uno jedoch nicht. Sie beauftragten die Schweizer Firma Focusright, auf Barbuda eine Studie zu Menschenrechtsthemen und der Wertschöpfungskette durchzuführen. Ihr Bericht ist fertig, PLH hält ihn jedoch unter Verschluss, Focusright spricht zwar mit mir, aber nur off the record. Ich frage bei Michael Chandler und Justin Wilshaw, dem Präsidenten von PLH, nach. Ich würde den Bericht gerne lesen und habe auch noch andere Fragen. Chandler
antwortet umgehend per Mail: «Ich bin sicher, Sie sind eine reizende Person, respektiert in der richtigen Welt, aber Ihre aggressive Art mir gegenüber am Strand und das Fehlen offener Fragen haben mir nicht gefallen, deshalb werden wir Ihnen keine Antworten auf Ihre Fragen geben.» Und natürlich auch keinen Bericht.
Doch dies ist nicht bloss eine Geschichte von Verlust und Unterdrückung, sondern auch eine von Widerstand und Durchhaltewillen. «Die ausländischen Investoren und die Regierung in Antigua hatten gehofft, der Hurrikan würde uns vernichten, doch wir sind zurückgekehrt, und wir kämpfen», sagt Jackie. Die Inselbevölkerung hat begonnen, sich zu organisieren, gerichtlich gegen die Investoren vorzugehen und die Entscheide der Regierung anzufechten. Von Robert De Niros Projekt Paradise Found ist bisher nur das Nobelrestaurant «Nobu Barbuda» in Betrieb, der Bau der Marina und des Hotels waren lange Zeit blockiert, da eine Gruppe Barbudaner bis nach London vor das höchste Gericht für die Überseegebiete gezogen war und ihr Landrecht eingeklagt hatte. Im Falle von Paradise Found gelte dieses Recht nicht, entschied das Gericht im Mai 2022. «Es ist ein Kampf von David gegen Goliath, und wir wissen noch nicht, wie er ausgeht», sagt Jasmine Rayée von Global Legal Action Network, GLAN, einer britischen Menschenrechts-NGO, welche die Inselbewohner im Rechtsstreit gegen die Grossinvestoren unterstützt. Diese winzige Insel stehe exemplarisch für etwas, was an vielen Orten der Welt vor sich gehe, und brauche internationale Aufmerksamkeit. Kratzer im öffentlichen Image können in Zeiten der sozialen Medien manchmal mehr bewirken als langwierige Gerichtsprozesse.
Einen Tag vor unserer Abreise will uns Gulliver mit seiner Mutter auf unserem Segelboot «Mabul» besuchen. Unser Dingi hat ein Leck, so können wir unsere Gäste nicht vom Strand abholen, sie müssen zum Boot schwimmen. Durchs Fernglas beobachten wir, wie sie den Strand entlangkommen. Dann sehen wir zwei Wachmänner des Barbuda Ocean Club, die ihnen entgegengehen. Eine Diskussion beginnt. Wir hören nicht, was sie sagen, aber wir sehen, wie wild gestikuliert wird und Köpfe geschüttelt werden. Die Muskelmänner zücken ihre Handys, beginnen Gulliver und seine Mutter zu filmen. Nach ein paar Minuten dreht sich Gullivers Mutter abrupt um und stapft den Strand entlang zurück. Gulliver zieht sich bis auf die Unterhose aus und schwimmt zu uns. «Sie drohten, die Polizei zu rufen und mich und meine Mutter zu verhaften, wenn wir nur einen Schritt weitergehen», berichtet Gulliver, als er triefend die Leiter aufs Boot hochklettert. Dabei hatten sie die Private-Property-Schilder noch nicht einmal erreicht. Ich sehe, wie er die Wut zwischen den zusammengebissenen Zähnen zu zermahlen und dann runterzuschlucken versucht, fühle, wie diese Wut heiss in mir hochsteigt, wie ich am liebsten an den Strand schwimmen und Chandler eine Ohrfeige verpassen würde. Wer wie wir auf einem Segelboot lebt und die nötige Zeit und das nötige Geld hat, so die Welt zu erkunden, mag zwar objektiv gesehen näher an der Klientel des Barbuda Ocean Club sein, doch soll das heissen, dass wir deshalb die Augen verschliessen? Gulliver winkt ab. Eine Szene zu machen, bringt nichts, der richtige Kampf wird an den Gerichten geführt und in der Öffentlichkeit.
Am nächsten Morgen hissen wir die Segel und verlassen den Princess Diana Beach. Wir segeln am Palmetto Point vorbei, sehen das Grün des Golfplatzes, das sich vom Weiss des Sandes abhebt, sehen die Sprinkleranlage, die grosszügig Wasser über den Rasen spritzt. Wir sind froh, die Insel hinter uns zu lassen. Sehen, wie sie kleiner wird und schliesslich ganz im Blau des Meeres verschwindet. Die Suche nach dem Paradies erklären wir vorübergehend für gescheitert.

KONTEXT
FLUCHT IN DER KARIBIK
Rund 7000 Inseln gehören zur Karibik, manche von ihnen sind stärker
als andere vom steigenden Meeresspiegel bedroht. Eine der ersten Inseln,
von denen Menschen bereits umgesiedelt werden müssen, ist Gardi
Sugdub. Die Insel ragt noch etwa 40 Zentimeter aus dem Wasser und ist
nahezu vollständig bebaut. Die Bewohner haben, um ihre Insel zu vergrössern,
Korallen aus den Riffen gebrochen, die Gardi Sugdub umgeben,
und sie aufgeschichtet. Diese Versuche der Landgewinnung haben die
Insel geschädigt, natürliche Barrieren gegen das Wasser fehlen nun.
Auch andernorts in der Karibik gibt es Versuche, dem steigenden Meeresspiegel
zu trotzen, so werden beispielsweise auf der Antillen-Insel Bonaire
Mangroven angebaut oder vor der Insel Tobago «Korallenkindergärten
» angelegt, in denen Korallen gezüchtet und dann an gefährdeten
Riffen eingesetzt werden.

FLUCHT IN DIE KARIBIK
Manche Karibikinseln wie Grenada, aber auch Antigua und Barbuda bieten
ihre Staatsbürgerschaften auf dem internationalen Passmarkt zum
Kauf an. In diesem globalen Milliardengeschäft kann man die Pässe vieler
verschiedener Länder weltweit (in der EU zum Beispiel Portugal oder
Armenien) mit dem entsprechenden Kleingeld erwerben. Superreiche
aus Afrika, Asien oder arabischen Ländern kaufen eine millionenschwere
Luxusimmobilie im Land ihrer Wahl, und den Pass gibt es obendrauf.
Die «Pass-Elite», die sich gern als philantrope Weltbürger inszeniert, steht
immer wieder unter dem Verdacht der Korruption und Geldwäsche.
An den Kauf der Staatsbürgerschaft sind so gut wie keine Vorgaben geknüpft,
in vielen Fällen muss man keinen einzigen Tag im gewählten
Land verbringen.