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True Story Award 2024

Der Hass auf seiner Haut

13 Jahre war er Neonazi, dann stieg er aus. Jetzt befreit ihn ein Arzt mit iranischen Wurzeln von seinen Tattoos. Kann man seine Geschichte weglasern?

„Es war im Knast, ich stand nackt vor dem Spiegel und hab meine Tattoos gesehen, das Hakenkreuz, das Hitler-Porträt. Ich guck mich an und denk: Scheiße, siehst du scheiße aus. Denk: Mann, bist du hässlich. Und dann denk ich: Das muss alles weg. Ich hab überlegt, Säure drüberzumachen. Nur kurz, gleich wieder abwaschen. Dann dachte ich: Scheiß drauf. Wenn du draußen bist, kippst du dich voll und lässt dich von irgendwem mit 'nem Handbandschleifer bearbeiten.“

Sein linker Unterarm ist übersät mit Totenköpfen, sie ziehen sich vom Handgelenk hinauf bis zum Ellbogen, kleine, weiße Menschenschädel, hingestreut, wie Spielzeug. Er sagt, jeder dieser Schädel stehe für ein Gewaltopfer.

Wie viele es sind?
„Keine Ahnung“, sagt er.

Er beginnt, die Schädel zu zählen. Die Lippen laufen ohne Ton. Von der Seite mustert der Arzt sein Gesicht. Niemand spricht. Es dauert. „29“, sagt er dann.

Er schaut rüber zu dem Arzt, dessen Blick wird leer.

„Uff“, sagt er. „Ganz schön viele.“ Er schaut auf seine Hände. Reibt sie aneinander. Rückt die Brille zurecht. Sagt leise: „Gezählt hab ich die noch nie.“
„Aber Gewaltopfer“, will der Arzt wissen, „was heißt das genau? Eine Ohrfeige, oder …?“
„Das heißt, dass ich 29 Gewaltdelikte im politischen Spektrum hatte.“
„Dass du 29 Leute zusammengeschlagen hast?“
„Genau“, sagt er. Ausländer und politische Gegner. Dann weiß er nicht mehr, was er sagen soll.
„Komm“, hilft ihm der Arzt, „wir fangen an.“

Der Arzt heißt Afschin Fatemi, 51, Haare und Augen sind dunkel, die Zähne schneeweiß. Seit er als junger Mann einmal selbst Rassismus erlebte, will er wissen, wie Rassisten denken. Er ist der Chef dieser Schönheitsklinik in Berlin-Mitte. Er saugt Fett ab, strafft Schlupflider, und er entfernt Aussteigern aus der Neonazi-Szene ihre Nazi-Tattoos. Er mache das gern, sagt er, und gratis. Warum, wird er später erzählen.

Der Patient ist Markus Weber*, 35, der Mann, der sich mit Säure übergießen wollte. Er war im Knast, weil er einen umgebracht hat. Sein Körper ist voller Nazi-Tattoos, er schämt sich. Wenn er rausgeht, versucht er, sie zu verstecken. Mit Ringen an den Fingern, mit langen Pullovern und langen Hosen. Ein T-Shirt trägt er nur im Ausnahmefall, weil er da bei jeder Bewegung aufpassen muss, dass es nicht verrutscht. Er muss aufpassen bei der Arbeit, im Bus, im Fitnessstudio. Schwimmen geht er nie, dabei liebt er Schwimmen. Viele der Tattoos sind strafbar. Er ist auf Bewährung, und würde ihn jemand anzeigen, er müsste vielleicht wieder ins Gefängnis. Auch wenn er ausgestiegen ist, die Tattoos sind wie Gitterstäbe. Sie lassen ihn nicht raus aus seiner Vergangenheit.

Früher schlug er Menschen wie Fatemi krankenhausreif, heute braucht er dessen Hilfe. Er will endlich sein neues Leben anfangen, ein „ganz normales“, sagt er, mit Haus, Auto, Frau, vielleicht Kindern, Grillpartys und gelegentlichen Besuchen im Freibad, die sein Neffe seit Jahren mit ihm machen will.
Geht das, sich die eigene Vergangenheit weglasern lassen?

Weber streift Pullover und Shirt über den Kopf. Er hat ein schwarzes Hakenkreuz auf der Brust, ein Hitler-Porträt auf dem Oberarm, auf dem Bauch SA- und Wehrmachtssoldaten. Die kommen später dran. Erst kümmern sie sich um die Tätowierungen, die jeder sehen kann; etwa um den Schriftzug „SKIN“ auf den Fingern. Weber legt sich erst mal hin. Fatemi beugt sich mit einem Laserstift über ihn. Sein Fuß drückt auf ein Pedal. Es knistert, tick, tick, tick, erst langsam, wie der Anzünder eines Gasherds, dann schneller, lauter, tickticktick, wie einer dieser Taser, die Polizisten verwenden. Der rote Punkt folgt den Buchstaben, sie verschwinden. „Ohohohohoho“, ruft Weber, ein Laut zwischen Lachen und Schmerzensschrei. Wie wenn einer in eiskaltes Wasser steigt.

Man sieht es Weber nicht mehr an, dass er mal Neonazi war. Die Haare, früher rasiert, trägt er nun lang, zum Pferdeschwanz gebunden. Die unsteten Augen, eines schielt ein wenig, schauen durch eine Brille mit Gläsern, dick wie Aquariumwände. Die Gefährlichkeit, die er früher ausgestrahlt haben muss, ist ihm abhandengekommen. Manchmal macht er in Gesprächen plötzlich „Hm?“, als gingen seine Gedanken zwischendurch spazieren. Erst auf den zweiten Blick sieht man die Tattoos auf den Händen, etwa die Triskele mit ihren drei Zacken, die an ein Hakenkreuz erinnert; „SKIN“ auf den Fingern.
Seine Hand zuckt. Vielleicht eine Minute, dann sind die Buchstaben nicht mehr schwarz, sondern weiß, die Haut wird rot und wulstig. Aber das geht wieder weg. Anders als bei seinen Opfern werden bei ihm nicht mal Narben bleiben.

Sein richtiger Name und Wohnort bleiben ungenannt, die Redaktion hat sich dazu entschlossen, um ihn zu schützen. Aussteiger werden manchmal bedroht. Deshalb gibt es in dieser Reportage auch kaum Fotos von den Tattoos. Die Leute von früher könnten sie erkennen. Ihm selbst ist das egal. Er spricht offen, sagt, er habe keine Angst. „Sollen sie doch kommen.“

Weber wurde 1988 in der DDR geboren, kurz vor der Wende. Der Vater war Maurer, die Mutter arbeitete „in der Kartonage“. Weber sagt, seine Kindheit sei glücklich gewesen, wie alle Kindheiten. Seine Eltern seien für ihn da gewesen, mehr noch: Die Welt habe nur seinetwegen existiert. Doch irgendwann war da ein Gedanke in seinem Kopf, und er verstand, dass nebenan ein anderes Kind lebte, das sich genauso fühlte; umsorgt, als Nabel der Welt. Er sagt, das zu verstehen habe sich scheiße angefühlt.

Es gibt nicht das eine Ereignis, mit dem sich erklären ließe, warum er Neonazi wurde. Vielleicht gibt es das selten, das Leben ist kein Film. Weber sagt, er habe alles gehabt, allen genügt. Nur einem habe er nicht genügt, das war er selbst. Er sagt, er habe jemand sein wollen, zu dem man aufschaut. Er habe nach Anerkennung gesucht. Und da waren diese Typen an der Schule, mit Glatzen und Springerstiefeln, sie sagten: Du brauchst niemand werden, du bist schon wer. Du bist Deutscher. Weber sagt, für einen wie ihn, der nach Anerkennung gierte, sei das „wie ein Gratisfick“ gewesen.

Er war 17, als seine Eltern sich trennten. Seine Mutter habe seinen Vater betrogen und versucht, ihn finanziell auszupressen. Weber hat bis heute kaum Kontakt zu ihr. Er hat sie gestrichen aus der Erzählung, die sein Leben ist, als wäre Mutter bloß ein Wort. Weber legte sich eine Panzerung zu: Springerstiefel, 14 Loch oder 20, Schnürsenkel weiß, Bomberjacke, Glatze, jeden zweiten Tag mit der Rasierklinge abgezogen. „Parfüm war immer Marke Hasseröder“, sagt er. Eine Kiste Bier, eine Flasche Schnaps, jeden Tag. Glaubt man ihm, versank sein Leben in dichtem Nebel. Wenn er aus dem Haus ging, schob er eine Machete zwischen Rucksack und Rücken.

Er lächelt, wenn er davon erzählt. 13 Jahre lang, da kann nicht alles schlecht gewesen sein, sagt er, sonst wäre er nicht so lange dabeigeblieben. Er habe damals gefunden, was ihm fehlte. Blut, Ehre, Loyalität, Rasse, Nation: Die Lügen von damals stehen bis heute auf seiner Haut. Wer etwas gelten wollte, musste zuschlagen, wer zuschlug, galt etwas. Der Beweis waren die Tattoos, sie sammelten sie wie Trophäen. Das Hakenkreuz etwa sei damals sehr wichtig gewesen für ihn, sagt Weber. Nach innen Statussymbol, nach außen ein Zeichen: Versucht erst gar nicht, mit mir zu quatschen. Weber sagt, er wolle seine Schuld nicht kleinreden, nur erzählen, was passiert ist. Er habe sich jeden Morgen dafür entschieden, „dieses Arschloch“ zu sein.

Wann er zum ersten Mal zuschlug, hat er vergessen. Er prügelte, wo er konnte, auf der Straße, vor Kneipen, im Wald. Er sagt, er habe die Gewalt wirklich geliebt. Richtig radikal sei er aber erst im Jugendknast geworden. Er habe auf hart gemacht und in Wahrheit Angst gehabt vor dem Knast. Jedem gehe das so. Aber Weber lernte schnell, im Knast, da zählten nur zwei Dinge, Stärke und Gewalt, in beiden Disziplinen wurde er ein Meister. Danach hatte er keine Angst mehr. Das sei das Problem gewesen, sagt er heute, Alkohol, Hass und das Gefühl von Unantastbarkeit. Über die Tat, die alles veränderte, sagt er, sie sei eigentlich wie alle Taten gewesen.

Er habe einen ziemlichen Pegel gehabt an dem Abend. Er war 23. Bis heute habe er nur Bruchstücke im Kopf. Bis zum Prozess habe er nicht mal gewusst, ob er die „ausführende Kraft“ gewesen sei. Die, die den Tod verursacht habe. Heute sagt er: „Doch, das war ich.“

Im Behandlungszimmer ist Dr. Fatemi gerade dabei, das „HAIL“ auf Webers Arm wegzulasern. Webers weißer Bauch fängt an zu wackeln: „Holla die Waldfee!“ Fatemi geht vom Pedal, es hört auf zu knistern. Weber sagt, es fühle sich an, als schneide Fatemi ihn mit einer Rasierklinge. „Ah, okay“, sagt Fatemi und macht weiter, „nicht schön.“ Weber sagt, der Schmerz sei nicht unerträglich, aber komisch. Er verleite einen zum Lachen. Befriedigend irgendwie.

Fatemi grinst. Er trägt eine Kappe wie die Chirurgen in US-Serien, seine hat Kätzchen drauf. Er liebt Katzen, zu Hause hat er zwei. Außerdem liebt er seine beiden Töchter, von denen er sagt, er habe sie zu klugen Frauen erzogen. Er spricht ein geschliffenes Deutsch, seine Züge sind ebenmäßig, nirgends Falten. Er sagt, er lese gerade eine Biografie über den französischen Schriftsteller Alexandre Dumas. Ob man wisse, dass der schwarz gewesen sei? Kaum jemand wisse das!

Fatemi wurde 1972 in Mainz geboren. Die Eltern Iraner, der Vater Arzt, die Mutter studierte Pharmazie. In Deutschland nannten die Leute sie manchmal „Ölaugen“. Fatemi sagt, er sei ein guter Schüler gewesen, aber irgendwann habe er den Klassenclown gemacht. Er habe die Anerkennung der Klassenkameraden gewollt, die deutsche Namen trugen. Sein Deutschlehrer nahm ihn beiseite und fragte, ob er denke, seine Eltern so stolz zu machen – und sich selbst? Fatemi sagt, er sei diesem Mann bis heute dankbar. Fatemi machte Abitur. Sein Vater habe ihn konservativ erzogen, nicht lügen, einander helfen, fleißig sein. An der Uni trug er dann einen Jutebeutel mit rotem Stern, dem Symbol des Kommunismus. Das war seine Revolte. Wer in der Jugend nicht links sei, habe kein Herz, sagt Fatemi. Wer später noch links sei, habe kein Hirn. „So sagt man doch, oder?“, fragt er und lacht sein weißes Lachen.

Er gründete Schönheitskliniken, die S-Thetic-Klinik-Gruppe, heute die größte in Deutschland, mit Praxen in Düsseldorf, München, Berlin und elf weiteren Städten. Er hat eine TV-Sendung auf Sixx, „Die Beauty Docs“, und fast ein Dutzend historische Sportwagen, mit denen er Rennen fährt. Auf Instagram sieht man Fatemi mit Promis. Jeden Tag postet er Storys, das bringt viele kleine Herzen. Er hat eine Stiftung, die Menschen in Krisengebieten hilft. Er sagt, er wolle der Gesellschaft etwas zurückgeben, und man glaubt es ihm. Er weiß, dass die Leute es hier mögen, wenn einer beim Reichwerden demütig bleibt.

Er liebe Deutschland, auch weil man hier sagen könne, was man wolle, und es passiere einem nichts. Er sagt, in den letzten 40 Jahren sei er „nicht häufig“ rassistisch angegriffen worden. Aber eine Szene habe sich eingebrannt. Er war Schulpraktikant in einer Klinik, da habe ein alter Mann zu ihm gesagt: So fängt es immer an. Am Anfang putzt ihr noch den Boden, dann den Hintern, und dann kommt ihr in die Gaskammer. Er hatte diesem Mann tatsächlich schon das Erbrochene weggewischt und den Hintern gewischt. „Und dann bringt der so einen Spruch.“ Fatemi schüttelt den Kopf.

Ob der ein Nazi gewesen sei, könne er nicht sagen. Vom Alter her hätte es gepasst. Aber Vorsicht, sagt er, wer könne einen anderen Menschen schon nach dem Äußeren beurteilen?

„Ich würd gern noch dem sein hässliches Gesicht da wegmachen“, sagt Fatemi und wedelt mit dem Finger Richtung Hitler auf Webers Arm. „Gern“, sagt Weber.

Das Hitler-Porträt habe ihm ein anderer Häftling gestochen. Die Linie ist verwackelt, der Kopf deformiert. Der Führer wirkt dümmlich. Habe damals nichts gekostet, sagt Weber, und wenn er die Qualität so sehe, wäre er auch blöd gewesen, dafür zu zahlen. Zuerst verschwindet Hitlers Bärtchen, es knistert und blitzt, Fatemi fährt die Linien nach, es ist wie mit diesen magischen Tafeln, auf denen Kinder kritzeln und später alles wieder löschen können. Jetzt hat Hitler keine Augen mehr, keine Nase, keinen Mund, gleich auch keine Haare mehr, es dauert ein bisschen, viel schwarze Fläche, dann ist auch der Scheitel Geschichte.

„Mhm“, macht Fatemi und mustert sein Werk. „Wie war’s am Oberarm?“
„Hm?“, fragt Weber, der die Schutzbrille abnehmen und auch schauen will.
„Am Oberarm, wie war’s?“
„So lala“, sagt Weber. Später sagt er, er habe sich mit einem Gedanken vom Schmerz abgelenkt: Da wird etwas zerstört, und daraus entsteht was Neues. „Ein total schönes Gefühl“, sagt er.

Das Opfer war ein Bekannter. 53 Jahre alt, kein Neonazi, ein Saufkumpan, ein Schlagerfan. Bei dem zu Hause hätten Weber und ein paar Kameraden gesoffen und Rechtsrock aufgelegt. Dem Hausherrn passte das nicht, er warf eine Flasche nach Weber, sie streifte seinen Kopf. Es gab ein Gerangel, Webers Brille fiel runter, dann krachte ein Blumenkasten auf den Boden, Erde begrub Webers Brille. Passt auf, habe er zu den Leuten gesagt, ihr sucht die jetzt. Ich geh raus, eine rauchen, und wenn sie nicht da ist, wenn ich wiederkomme, sagte er zum Hausherrn, mach ich dich kalt.

So sei es dann auch gekommen.

Weber, der seine Geschichte sonst lebhaft erzählt, fast so, als würde er sie selbst gern hören, spricht über die Tat wie ein Bürokrat. Er nennt den Mann, dem er das Leben nahm, nicht beim Namen, er sagt „das Opfer“ oder „der Getötete“. Er sagt, weil er damals nicht mit sich selbst klargekommen sei, habe ein Mensch sterben müssen. Er kam mit gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge davon. Elf Jahre Haft.
Raserei, eingesperrt in eine Zelle. Die ersten drei Jahre habe er sich mit jedem angelegt, Teller geworfen, Messer, zugeschlagen. Einzelhaft, immer wieder. Am Anfang habe er oft an Rudolf Heß denken müssen, Hitlers Stellvertreter, der auch im Gefängnis standhaft geblieben sei. Aber irgendwann, sagt Weber, habe es ihn nur noch angekotzt. Soll so mein restliches Leben aussehen? Sind wir dafür auf der Welt? Der Gedanke sank tief ein. Als er sich dann eines Tages nach dem Duschen so ansah, da habe er gedacht: „Vielleicht muss ich, um'nen Schuldigen zu suchen, mal in'nen Spiegel gucken und nicht immer das Fernglas nehmen.“

Damals kamen Leute vom Blauen Kreuz ins Gefängnis, sie halfen Weber, vom Alkohol wegzukommen; und es kamen Leute von „Violence Prevention Network“, die Neonazis und Islamisten beim Ausstieg helfen. Ein Typ sprach Weber an. Er sagte, er sei auch ein Rechter gewesen, habe gesoffen, zugeschlagen. Später sei er ausgestiegen und habe zum Glauben gefunden. Der Typ, sagt Weber, habe zu ihm gesagt: So wie du, so war ich auch.

„Das ging sofort da rein“, sagt er und tippt auf sein Herz. Sie redeten, stundenlang. Krempelten sein Leben um: Er kam innerhalb des Gefängnisses in eine Wohngruppe für Suchtkranke, machte einen Entzug und eine Therapie. Damals, sagt er, habe auch er zu Gott gefunden. Er hörte, dass jeder Mensch von Gott gewollt ist; auch wenn er nicht perfekt ist. Das war so ähnlich, sagt Weber, wie am Anfang in der rechten Szene.

Diesmal aber ohne Alkohol, Gewalt und Hass. Er habe verstanden, dass sein Hass nie dem Gegenüber gegolten habe, sondern immer nur sich selbst. Er habe dann angefangen, Menschen nicht mehr als Feinde zu sehen. 13 Jahre lang hatte er andere geschlagen, nun versuchte er, sie zu umarmen. Er sagt, es sei gewesen, als habe er sich nach all der Zeit selbst gefunden. Bei einer Zeremonie im Büro des Wohngruppenleiters übergab Weber sein Leben symbolisch in Gottes Hände. Von da an, sagt er, sei er ruhig geworden. Schlief besser. Fuhr nicht mehr hoch. „Richtigen inneren Frieden gehabt auf einmal.“

Im Februar 2022, nach acht Jahren Gefängnis, kam er frei und zog in eine WG für Ex-Häftlinge. Den ersten Abend in Freiheit feierte er mit drei Dosen Monster Energy und einem Kilo Hähnchenschenkelpfanne aus dem Tiefkühlfach. Dann sah er sich einen Actionfilm mit Liam Neeson an. Weber sagt, er habe eigentlich nur vor einer Sache Angst. Dass er zurückmuss in den Knast. Er hasse alles dort, die Enge, den Gestank. Seit der Zeit in Haft kann er keinen Dreck mehr sehen. Er will es ordentlich, er will es sauber. Im Knast habe er einen Putzfimmel entwickelt.

Vor sechs Jahren fragte ein Verein für Aussteiger, ob Fatemi sich vorstellen könne, Ex-Nazis die Tattoos wegzulasern. Vorher habe das wohl ein anderer Arzt gemacht, regulär, gegen Bezahlung. Die hätten auch bei ihm bezahlen wollen. Aber, sagt er, er wisse ja: „Vereine, immer knapp bei Kasse.“ Einer, der Weber beim Ausstieg half, sagt, es sei sehr schwer, einen Arzt zu finden, der Hakenkreuze weglasern wolle, noch dazu gratis. Fatemi sei für Vereine und Aussteiger „ein Schatz“.

Fatemi bot an, es kostenlos zu machen, unter einer Bedingung: Vorher wollte er mit den Leuten reden. Erstens, weil er wissen wollte, wie sie in die Szene und wieder rausgekommen sind. Und zweitens, weil er sichergehen wollte, dass ihn keiner verarscht. Darum gibt es das Erstgespräch. Erst wird das Medizinische geklärt, dann das Persönliche. Fatemi stellt Fragen. Die meisten wüchsen mit rechten Parolen beim Abendessen auf. Andere kämen über Freunde in die Szene. Die Geschichten seien verschieden, glichen sich aber in einem Punkt: Da sei eine Leerstelle in den Menschen. Aussteigen würden sie meist, wenn sie selbst Gewalt erfahren oder Kinder kriegen. Oder wenn sie einen „Ausländer“ kennenlernen und merken: Der ist gar nicht dumm und stinkt auch nicht.

Fatemi hat Hakenkreuze weggelasert, Porträts von Nazigrößen, Fahnen, Parolen, Codes, ziemlich oft die „88“, die für „Heil Hitler“ steht. Manche kämen mit Szenen aus Konzentrationslagern. Der Holocaust als zynische Karikatur. Das ziehe ihm jedes Mal die Schuhe aus, sagt er. Er müsse sich dann selbst ermahnen: Das sind nicht Nazis, die da sitzen, sondern Ex-Nazis. „Die sind schon ausgestiegen und haben einen weiten Weg hinter sich.“ Viele hätten einen Richter überzeugt, Gutachter, Vereine. Profis im Umgang mit Aussteigern. 20 waren bis heute bei ihm. 18 Männer, zwei Frauen.

Im Behandlungszimmer reden sie jetzt davon, ob es eigentlich etwas Besonderes ist, dass die Ex-Neonazis zu einem „Ausländer“ müssen, um ihre Hakenkreuze loszuwerden. Fatemi glaubt, es mache keinen Unterschied für die Aussteiger. Die seien ja längst raus aus ihren rassistischen Denkmustern. Weber muss lachen. Doch, sagt er, er habe es „so was von geil“ gefunden. „Viel besser, als wenn er Müller oder Maier heißen würde!“ Bis heute denke er, wenn er einen Schwarzen sehe: „Verpiss dich, Kanacke“. Er müsse sich dann selbst ermahnen. „Was hast du da gerade gedacht?“ Aber es werde besser. Manchmal denke er es schon nicht mehr. „Weil das, was hier oben stattfindet“, sagt er und tippt sich gegen den Kopf, „ist das Wichtigste beim Ausstieg.“

Fatemi stellt den Laser ab, sie machen kurz Pause. Weber geht was trinken. Mit den alten Lasern, sagt Fatemi, habe er nur schwarze Farbe wegbekommen, es blieben Narben, Flecken oder ein Negativbild des Tattoos. Die neuen Laser entfernen die Tinte4 vollständig. Grundsätzlich wolle der Körper alles, was ihm schaden könnte, weghaben, ein Sandkörnchen ebenso wie Farbe. Er schickt dann weiße Blutkörperchen, etwa Makrophagen. Die Müllabfuhr. Tinte sei aber zu groß für den Abtransport, der Körper könne sie nicht zerkleinern. Das mache der Laser. Mit der richtigen Wellenlänge und Stärke lasse er Haare, Haut und Blutgefäße heil, treffe auf den Farbpartikel und sprenge ihn in kleine Teile. Weil Weber so viele Tattoos hat, werde das viele Sitzungen dauern.

Fatemi sagt, eine demokratische Gesellschaft müsse ihren Feinden hart entgegentreten. Mit denen aber, die man noch erreichen könne, müsse man reden. Schließlich gibt es für Gesellschaften leider keine Laser, die den Nationalsozialismus ein für alle Mal auslöschen könnten.

Fatemi sagt, er bewundere Webers Mut. Der habe sein altes Leben verlassen, seine Heimat, seine Freunde. Das Entfernen der Tattoos, sagt er, sei darum auch kein Akt der Gnade. Den größten Teil des Weges seien diese Menschen schon gegangen. Er halte ihnen nur die Tür auf. Er sagt, er glaube daran, dass Menschen sich ändern können. Sonst würde er das alles hier nicht machen. Aber es gebe noch einen Grund. Er sagt, das Gefühl, ein Hakenkreuz wegzulasern, sei „einfach supergeil“. Ein wenig wie putzen. Den Dreck richtig wegschrubben. Sehr befriedigend. Und jedes Hakenkreuz weniger auf der Welt sei doch eine gute Sache, oder?

Weber legt sich wieder auf die Liege. Über dem Hakenkreuz auf seiner Brust ruht an einer Kette ein silbernes Kreuz. Vor ein paar Wochen hat er sich taufen lassen. Es gibt ein Video. Ein wenig linkisch stand er neben dem Priester, er trug einen Kapuzenpulli mit der Aufschrift „Team Jesus“ und einen Ring, sodass auf seinen Fingern nicht „SKIN“ zu lesen war, sondern nur „SIN“, Sünde.
Weber hielt eine kurze Rede. Der Psalm, den er ausgesucht hatte, lautete: „Jetzt aber bleibe ich immer bei dir, und du hältst mich bei der Hand. Du führst mich nach deinem Plan und nimmst mich am Ende in Ehren auf.“

Am Ende klatschten die Leute. Sie wussten von seiner Vergangenheit. Sie nahmen den verlorenen Sohn wieder auf. Das ist das Praktische am Christentum: Egal, was du getan hast, Gott vergibt dir. So einfach werden es ihm die Leute außerhalb der Gemeinde nicht machen. Vor dem Gesetz hat Weber seine Strafe verbüßt. Niemand muss ihm verzeihen, schon gar nicht die Opfer. Vergebung ist eine private Entscheidung.

Fatemi sieht sich noch ein bisschen die Tattoos an, dann sagt er: „Komm, wir machen Schluss.“ Um das Hakenkreuz und die übrigen Tattoos kümmern sie sich in den kommenden Sitzungen. Auf die wunden Stellen kriegt Weber Salbe. Er zieht sich an. Pulli und Shirt mit „Team Jesus“, die hat er sich bei Amazon bestellt. Fatemi sagt, er solle nicht kratzen und nicht in die Sonne. Dann muss er los, nach Düsseldorf. Sie geben sich die Hand. Vor der Praxis steht Weber unschlüssig herum. Es riecht nach Regen, der Berliner Alltag umspült ihn. Was macht er mit dem angebrochenen Tag? Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas ist nur ein paar Gehminuten entfernt. Da war er noch nie. Oder er geht in diesen Sportladen an der Ecke, da wollte er schon lang mal rein.

Dann fällt ihm noch was ein. In einem Punkt müsse er Dr. Fatemi widersprechen. Das, was der heute gemacht habe, sei für ihn schon ein Akt der Gnade. Vielleicht nicht von Fatemi, aber von der Allgemeinheit. Er sehe das als „großes Geschenk“.

Weber sagt, sein Ausstieg sei abgeschlossen. Mit oder ohne Tattoos. Zu Hause, auf seinem Schrank, steht eine Kiste mit seinen alten Nazi-Klamotten und Rechtsrock-CDs. Er will die Mitglieder seiner Gemeinde einladen, vielleicht zum Grillen, und alles in einem großen Feuer verbrennen. „So als Symbol“, sagt er. Er sagt, er könne sich glücklich schätzen, denn er habe den „Traumjob“ gefunden, in dem er seinen Putzfimmel ausleben könne: Er ist Gebäudereiniger. Er trinkt nicht mehr. Sein Vater sei stolz auf ihn.

Weber fehlt noch ein Führerschein, den macht er gerade, und eine eigene Wohnung. Die letzten drei Vermieter haben sich nach der Besichtigung plötzlich nicht mehr gemeldet. Er vermutet, weil sie Wind gekriegt haben von seiner Vergangenheit. Die Leute reden. Dabei habe er ein festes Einkommen und keine Schufa-Einträge. Bis auf die Haftzeit, sagt er, sei er ein wünschenswerter Mieter. Weber könnte sich vorstellen, ehrenamtlich an Schulen zu gehen und seine Geschichte zu erzählen. Als Warnung, als positives Beispiel. Und als eine Art Wiedergutmachung.

Er sagt, sein Leben erinnere ihn manchmal an den US-Film „American History X“. Darin steigt ein junger Mann mit einem schwarzen Hakenkreuz auf der Brust aus der Neonazi-Szene aus. Lange wirkt es, als gehe das gut. Aber am Ende holt ihn die Vergangenheit wieder ein.

Weber hat letztens auf einer Grillfeier eine junge Frau getroffen, die weinte, als sie ihn sah. Später erzählte sie ihm, dass er ihren damaligen Freund vor einer Kneipe krankenhausreif geschlagen und sie bedroht hatte. Er sagte ihr, dass er sich leider nicht erinnere. Sie sprachen dann noch lange. Am Ende habe sie ihn umarmt und gesagt: Bitte bleib so, wie du bist.

Weber sagt, das sei eigentlich so der schönste Moment in seinem Leben gewesen bisher.


* Name von der Redaktion geändert